Der Begriff Unfallfahrzeug wird seit Jahrzehnten verwendet, ist heute jedoch in seiner Bedeutung uneinheitlich und zunehmend umstritten – sowohl in der Fachwelt als auch in der Rechtsprechung.
Historisch bezeichnete Unfallfahrzeug ein erheblich beschädigtes und anschliessend fachgerecht repariertes Fahrzeug, dessen Struktur oder tragende Teile betroffen waren.
Diese Definition prägte über Jahrzehnte die Rechtsprechung, die Gutachterpraxis und auch die Bewertungssysteme – unter anderem die früheren Berechnungsrichtlinien des VFFS.
Damals waren Karosserien meist aus homogenen Stahlstrukturen gefertigt. Schwere Deformationen griffen weit in die Fahrzeugarchitektur ein, und die Qualität der Instandsetzung war stark vom handwerklichen Können abhängig. Entsprechend galt ein repariertes Fahrzeug mit strukturellem Schaden automatisch als Unfallfahrzeug.
Mit den heutigen Multi-Material-Karosserien (z. B. Aluminium-, Stahl-, Magnesium- und Carbon-Mischbauweisen) ist diese Sichtweise kaum mehr zeitgemäss.
Moderne Fahrzeuge verfügen über definierte Energieabsorptionszonen und reparaturfreundliche Trennstellen. Eine fachgerechte Reparatur – gestützt auf Herstellervorgaben, Schweiss- und Klebetechnologien sowie elektronische 3D-Karosserievermessung – ermöglicht heute eine vollständige
Wiederherstellung der ursprünglichen Strukturfestigkeit.
Methoden wie Ziehen oder Strecken tragender Teile sind bei diesen Konstruktionen ausgeschlossen und werden durch gezielten Teileersatz ersetzt.
In den aktuellsten Bewertungs- und Berechnungsrichtlinien (BWR) des VFFS wird der Begriff Unfallfahrzeug erstmals abweichend verwendet:
Er bezeichnet dort ein beschädigtes, noch nicht repariertes Fahrzeug.
Damit wird der Begriff faktisch umdefiniert – von einem reparierten zu einem nicht reparierten Zustand.
Diese Änderung ist aus juristischer Sicht heikel, da sie im Widerspruch zur bisherigen Fach- und Rechtspraxis steht. Es ist davon auszugehen, dass Gerichte und Anwälte weiterhin die traditionelle Definition anwenden, solange keine gefestigte neue Rechtsprechung besteht.
Der Begriff Unfallfahrzeug ist derzeit nicht eindeutig definiert.
Für die Praxis empfiehlt es sich, stets präzise zu beschreiben:
Ob das Fahrzeug repariert wurde,
in welchem Umfang ein struktureller Schaden vorlag, und
nach welchen Herstellervorgaben die Instandsetzung erfolgte.
Nur diese Angaben ermöglichen eine sachgerechte Bewertung – juristisch wie marktbezogen.
© Swissgarant
April 2016 / überarbeitet Oktober 2025
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